Chronik > Historische Grundlagen

Die Entstehung der Landschaft Angeln

Die Landschaft Angeln wurde von der letzten Eiszeit gestaltet.

Während das Eis in der vorletzten Eiszeit, der Saale-Eiszeit (200.000 bis 125.000 vor Christus), ganz Norddeutschland bedeckte, erreichte die letzte Eiszeit, die so genannte Weichsel-Eiszeit (80.000 bis 15.000 vor Christus), mit ihren Gletschern in Schleswig-Holstein nur etwa die Linie Flensburg – Rendsburg – Ahrensburg.

Hätten nicht die Eisschilde, die eine Höhe von 300 bis 500 Metern erreichten, die großen Mengen Sand, Gestein und Geröll, die Moränen, aus dem Norden Skandinaviens hierher transportiert, bestünde Schleswig-Holstein lediglich aus ein paar Inseln inmitten eines Meeres zwischen Nord- und Ostsee. Somit ist Angeln eine Moränenlandschaft.

Die ablaufenden Schmelzwässer schufen die Rinnen für Flüsse, Auen und Bäche. Aus den ehemaligen Gletschertälern und -Becken entstanden die Förden und auch die Schlei.

Um 2000 vor Christus erreichte der Wasserstand die jetzige Tiefenlinie.

Landschaft an der Schlei (Bodenform)

Von den Wiesen im Schlei- und Noorbereich steigt das Land für angelner Verhältnisse schnell an. In Hestoft erreicht das Gelände fast gleichmäßig über 20,5 m Höhe, bis zum Hestofter Holz sind es 35,9 m. Am Wald Böttchertimmer in Ulsnisfeld befindet sich der höchste Punkt der Gemeinde mit 39 m.

Im Dorf Ulsnis steigt das Gelände nur mäßig an, während der Fuchsberg in Kius von der Dorfjugend im Winter zum Rodeln benutzt wurde.

Der Weg von Kius nach Gunneby verläuft auf einer Anhöhe, von der man über das Noor und die Schlei bis nach Schwansen einen schönen Ausblick hat.

Vom Strand in Gunneby bis nach Dallacker ist ein ansprechendes Steilufer an der Schlei mit heruntergekippten Bäumen und Landabbrüchen. An der vorspringenden Ecke in Dallacker ist das Steilufer so hoch, dass im Sommer wie im Winter ein Besuch lohnt, allein wegen der wunderbaren Aussicht nach Lindaunis und schleiaufwärts über Ulsnis, Goltoft zur Liebesinsel (Kieholm/Badstave) und sogar bis zu den Hüttener Bergen.

Wasserläufe durch das Gemeindegebiet

Innerhalb des »Hochlandes« in der Gemeinde haben wir noch drei Bäche, zum Teil in Urstromtälern. Quer durch das Dorf Ulsnis fließt der Bach »Schlusbek«. Dieser Bach kommt aus den Höhen von Hestoft-Nord, läuft an der ehemaligen Meierei vorbei, unter der Kreisstraße 119 hindurch und dann durch die Wiesen in die Schlei. Bei der Flurbereinigung in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Bach verrohrt. Hinter dem Wald Bonnerüh kann man heute noch das letzte überirdische Stück dieses Baches durch die Schleiwiesen in die Schlei fließen sehen.

Durch das Dorf Kius fließt ein großer Bach, der viele Jahre die Kiuser Wassermühle in Hesselmühle angetrieben hat und deshalb auch Mühlenbach genannt wird.

Dieser Bach ist auch heute teilweise verrohrt, aber mitten im Dorf ist ein schönes Teilstück neben der Dorfstraße erhalten. Beim Hofe Schmidt ist ein kleiner Wasserfall in einer Tannengruppe erbaut. Daneben stand ehemals ein Widder – eine Wasserpumpe –, die Wasser aus dem Bach zum Hof pumpte. Der Hauptbach floss von Steinfeld über Kalkjer. Dort waren früher große Stauungen für die Hesselmühle.

Im Oberdorf von Kius kam ein Nebenfluss von Hüholz aus der Richtung von Schmedeland und dem Kiuser Gehege. Auch dort waren Stauungen für die Hesselmühle.

In Kius Unterdorf floss noch ein Nebenarm an der Dorfstraße entlang aus Richtung Kirchenholz und vom Wald Nordschau kommend, der aber auch verrohrt wurde.

Der nächste Bach ist an der Landgrenze nach Gunneby und war früher die Grenze zum leibeigenen Gut Lindau.

Die Wälder in der Gemeinde Ulsnis

Von der ursprünglich dichten Bewaldung sind im Bereich unserer Gemeinde lediglich so genannte Bauernwälder verblieben, zumeist Buchenmischwälder mit Eichen und Eschen.

Das Hestofter Holz gehörte immer zur Dorfschaft Hestoft. Ganz in der Nähe befindet sich das Borriser Holz, so wie auch die Koppeln in der Nähe hießen.

Am nördlichen Rand der Gemeinde liegt der Wald Böttchertimmer, den sich vier Landwirte teilen.

In der Nähe des heutigen Hofes Landtau liegt der Bauernwald Nordschau. An der Südseite innerhalb des Waldes ist ein schöner Spazierweg, der seit Generationen Philosophengang genannt wird.

Im Ortsteil Ulsnisland befindet sich das große Süderholz. Es wird durch die Straße zum Strand und durch die neuen Siedlungen in zwei Waldstücke geteilt.

Wo die Schlusbek sich durch die Wiesen zur Schlei hin schlängelt, liegt der Wald Hagab.

Südlich des Pastorats ist der kleine Wald Bonnerüh. An der Nordseite des Waldes lag um 1530 ein Edelhof des Besitzers Cleve Rönnau. Dieser hatte keine Kinder und vermachte seinen Besitz der Kirche. Der Hof ist abgebrochen worden, auf dem Gelände wurde 1768 das Pastorat erbaut.

Im Nordwesten der Gemeinde, ca. 1,5 km von Kius entfernt, befindet sich das Kiusser Gehege, ein Staatsforst, der von einem Förster verwaltet wird.

An den Staatsforst grenzen Bauernwälder, die wiederum durch Bauern gepflegt und genutzt werden. Weil wir hier eine große zusammenhängende Waldfläche haben, halten sich dort viele Rehe und Damwild auf.

Bewaldung der Gemeinde nach der Karte von Caspar Danckwerth von 1652
Bewaldung der Gemeinde nach der Karte von Caspar Danckwerth von 1652

Die ersten Besiedlungsspuren

Bereits in den wärmeren Zwischenperioden zwischen den letzten Eiszeiten vor ca. 50.000 Jahren ist menschliches Leben in der Landschaft Angeln nachgewiesen. Es waren die Neandertaler, welche sich zu dieser Zeit hier aufhielten.

Mit den klimatischen Schwankungen gingen Veränderungen in der Vegetation einher. Die Tundrenlandschaft der kühleren Perioden mit Rentierbeständen zogen Jäger an, in den wärmeren Perioden breitete sich Wald aus.

In der mittleren Steinzeit entstanden Ansätze von Siedlungen, in der Regel an Ufern von Gewässern. Fische, Vögel und Waldtiere bildeten die Ernährungsgrundlage. Erst in der jüngeren Steinzeit werden die Menschen als Ackerbauern und Viehzüchter endgültig sesshaft. Aus dieser Zeit stammen auch die Steindolmen- und Ganggräber (Megalithgräber), die wir vereinzelt in unserer Landschaft noch finden und gemeinhin als Hünengräber bezeichnen. Die Kartierung des Archäologischen Landesamtes weist zahlreiche Fundstellen auch im Bereich der Gemeinde Ulsnis auf.

Archäologische Kartierung
Archäologische Kartierung

Aufgrund dieser Bodenfunde kann man davon ausgehen, dass Angeln in der Steinzeit eine dichte Besiedlung aufgewiesen hat. Zeugnis dieser frühen Besiedlung geben auch Steinwaffen und Steinwerkzeuge, wie wir sie im Dorfmuseum finden.

In der Bronzezeit, im Norden die Zeitepoche von 1800–600 v. Chr., und damit später als in den südlichen Gebieten Europas, entwickelt sich auch hier ein erstes Metallhandwerk. Im Tauschhandel mit Bernstein werden die Rohstoffe für die Bronzeherstellung, nämlich Kupfer und Zinn, erstanden.

Auch der Bestattungsritus ändert sich. Während in der frühen Bronzezeit die Bestattung in Baumsärgen oder Steinkästen noch üblich ist, setzt sich in der jüngeren Bronzezeit die Leichenverbrennung und Urnenbestattung durch. Der Erdhügel wird mit einem Steinkreis umgeben. Auch für diese Zeit weist die Kartierung des Archäologischen Landesamtes Fundstellen in unserer Gemeinde auf, zum Beispiel den Hügel, auf dem heute der Glockenturm unserer Kirche steht. Die Bodenfunde sind allerdings seltener anzutreffen als steinzeitliche Bodenfunde.

800 bis 500 v. Chr. endet im Norden die Bronzezeit. Durch Kontakte mit keltischen Stämmen erwerben die Germanen die Fähigkeit, Eisen herzustellen und zu verarbeiten. Grundlage der Eisengewinnung sind hier die Raseneisenerze, die auch auf hiesigen Koppeln zum Teil als 5 cm starke Schichten auftreten.

Auch eisenzeitliche Funde gibt es nur vereinzelt.

Erst im letzten vorchristlichen Jahrhundert treten wieder größere Friedhöfe auf. Aber bereits zu der Zeit um Christi Geburt bewirken Klimaveränderungen Wanderungsbewegungen der ansässigen Siedlungsgemeinschaften. In den darauf folgenden Jahrhunderten ergibt sich folgendes Siedlungsbild: Das Land ist nicht gleichmäßig dicht besiedelt, sondern über weite Strecken bewaldet. Im 5. Jahrhundert aber ist Angeln relativ stark besiedelt. Dann brechen die Spuren der Besiedlung nicht nur in Angeln, sondern auch in weiten Teilen Schleswig- Holsteins ab.

Für die Landschaft Angeln wird dies durch drei gewichtige Aspekte bestätigt:

  1. Die Urnenfriedhöfe hören im 5. Jahrhundert fast ganz auf.
  2. Die Pollenanalyse (das Auffinden von Getreidepollen in verschieden Moorschichten) hat ergeben, dass mit dem Aufhören der Urnenfriedhöfe auch der Getreideanbau nicht mehr nachweisbar ist.
  3. Siedlungsgeschichtliche Vergleiche im Ausmaß der Bewaldung haben ergeben, dass hier ein großer Wüstungsvorgang einsetzte, verbunden mit der Verwaldung alten Ackerlandes.

Eine Restbevölkerung hat sich in den folgenden Jahrhunderten allerdings erhalten. Im 8. Jahrhundert setzt eine Neubesiedelung von Norden her ein. Sie steht im Zusammenhang mit der Gründung und dem Ausbau von Haithabu und Danewerk im 8. und 9. Jahrhundert, die an der Südgrenze des Einflussgebietes der dänischen Könige angesiedelt sind. Im 11. Jahrhundert ist Angeln wieder dichter besiedelt, Siedlungskammern mit Ursiedlungen und Ausbaudörfern sind allerdings noch durch große Wälder aus Eichen und Buchen und Sumpfgebiete voneinander getrennt. Gegen Ende des Mittelalters, also im 15. Jahrhunderts, haben sich die Siedlungskammern weitgehend aufgelöst, Ausbaudörfer haben sich in die Waldgebiete vorgeschoben.

Quellen:

  • Geschichte Schleswig- Holsteins, Band 2. Neumünster (Wachholtz-Verlag) 1964
  • Hans Joachim Kuhlmann: Besiedlung und Kirchspielorganisation der Landschaft – Angeln im Mittelalter. Neumünster (Wachholtz-Verlag) 1958.

Die Sage von der Auswanderung

Nahe dem Steilufer bei Dallacker stehen in einer Reihe 14 größere Steine. Einer Sage zufolge sind sie von einem Sippenältesten gesetzt worden für sich und seine 13 Söhne, die Angeln seinerzeit verlassen haben.

»Angelntreck«

Heinrich Andresen, Hamburg-Bergedorf

Bi Dallacker-Huuk an Gunnebystrand
Staat veertein Steens op de hoche Kant.
De Meven kriescht över‘t Water wiet:
»Wo gau geit de Tiet! Wo gau geit de Tiet!«

De ool Herr Gunner vun Gunneby
Keek vun‘t hoche Huuk hen över de Slie:
»Twölf Sööns de seeg ik wassen so stolt,
Twölf Jungs so taach as Eschenholt.«

Dar güng de Trumm hier nerrn an‘n Strand
To den Treck in dat fremde Britenland.
Ik kunn se nich hooln un ik heff‘t ok nich daan;
De een na den annern, all twölf sünd se gaan.

All twölf hebbt se hier noch de Hand mi gev‘n
Keeneen keem wedder, all twölf sünd se blev‘n
Dar günt över See. Nu heff ik blot di,
Mien Ralf, mien Jüngst; bliev du nu bi mi!«

»Mien Vader, dar nerrn liggt dat Drakenboot,
Se söökt Jungkerls, de Knööf hebbt un Moot.
Wo lang al hanteer ik mit Aex un Spitt,
O giff mi dien‘ Segen un laat mi mit!«

»Dien Bröder sünd Herren wurrn, riek un frie,
Man Ralf, uns Heimat is hier an de Slie.
Ik bün nu bald op, ik kann bald nich meer;
legg du mi to slapen in Angler Eer!«

»Mien Vader, dar över de Norrdsee günt
Töövt twölf vun dien Sööne mit Fru un Kind.
Treck mit! Se schickt Bott na di un na mi,
Treck mit na dat nie Gunneby!«

»Mien Ralf, wat maakst dat Hart mi groot;
Hier höllt mi de Eer, dar röppt mi dat Bloot!
Se legg ik dat Lei in dien junge Hand,
Bring du mi in‘t gröttere Angelnland.

Doch eer wi seilt lang de Slie hendal,
So sett ik uns hier en Teken un Maal,
So schüllt hier staan veertein Riesensteen
För mi un mien Jungs, för jeden een.

Wenn nastens dar güntsiet en Angler Kind
Sik weer op de ole Heimat besinnt,
So schall dat weten: Vun düsse Eer
Dar floog de Saat hen över dat Meer.«

De Maven kriescht över‘t Water wiet:
»Wo gau güng de Tiet! Wo gau güng de Tiet!«
Ok Dallacker-Huuk, an Gunnebystrand
Töövt veertein Steen op de hoche Kant.

Die Auswanderung der Angeln

[ Quelle: Michael Gebühr in der Chronik des Jahres 2010 ] Bis vor wenigen Jahrzehnten galt die Abwanderung der Angeln nach England als eine historisch wie archäologisch begründete Tatsache. Historisch stützt sie sich auf englische Schriftquellen, besonders die Kirchengeschichte des berühmten angelsächsischen Benediktinermönchs Beda aus dem siebten Jahrhundert. Ihr zufolge übersiedelte um die Mitte des fünften Jahrhunderts n. Chr. neben Sachsen und Jüten auch der Stamm der Angeln nach Britannien. Er kam aus jener Landschaft »angulus« (Angeln), die, zwischen Sachsen und Jüten gelegen, noch im siebten Jahrhundert als »desertus« (verlassen) galt. Zunächst – nach dem Abzug römischen Militärs – als Schutzkräfte gegen die im Norden lebenden Picten und Scoten eingeladen, verbündeten sich die eingewanderten Stämme bald gegen die einheimischen Briten, töteten, versklavten oder vertrieben sie und errichteten schließlich auf deren Gebiet mehrere germanische Königreiche. Soweit Beda.

Der archäologische Befund schien dieses Bild zu bestätigen. Die Fundleere in großen Teilen Schleswig-Holsteins vom fünften bis ins achte Jahrhundert hinein schien dem schriftlich bezeugten »angulus desertus« zu entsprechen. Außerdem glich der Fundstoff im »anglisch« besiedelten England stark den Funden im vermeintlichen Herkunftsgebiet »Angeln«. Schließlich deuten die Bezeichnungen »England« und »englisch« auf Stamm und Landschaft der Angeln hin, die demzufolge von Schleswig-Holstein über England und Nordamerika bis in Raumfahrt und Internet hinein »sprachlich präsent« wären.

Die neuere Forschung weckt allerdings Zweifel an diesem klaren Bild. Von historischer Seite wird die Glaubwürdigkeit der mittelalterlichen Schriftquellen zunehmend in Frage gestellt. Archäologisch betrachtet zeigt sich, dass die Spuren einer Besiedlung in der Landschaft Angeln bereits um 320 deutlich zu schwinden beginnen, während die Ankunft der Angeln in Britannien erst ab 450 erwartet wird. Zudem sind die Ähnlichkeiten im Fundstoff zwischen England im fünften und Angeln im vierten Jahrhundert systematischen Studien zufolge doch erheblich geringer als ursprünglich angenommen. In East Anglia, einem Kerngebiet »anglischer« Landnahme gibt es zwar ausgedehnte Urnenfriedhöfe (zum Beispiel Spong Hill, über 2.000 Gräber) wie bei uns; dort werden allerdings Männer und Frauen gemeinsam bestattet, bei uns nur auf getrennten Gräberfeldern (zum Beispiel männlich: Husby, Süderbrarup, Sörup I, jeweils über 1.000 Gräber; und weiblich: Sörup II, circa 200 Gräber). Dort ist ein großer Teil der Toten unverbrannt beigesetzt worden; bei uns gibt es nur Urnengräber. Die Unterschiede reichen bis in einzelne Beigabenarten hinein: Pfeile werden bei uns nur Erwachsenen, Pinzetten überwiegend Kindern ins Grab gegeben, in East Anglia ist es umgekehrt. Das alles wäre noch kein hinreichender Grund, an einer Herkunft der englischen Angeln aus unserem Angeln zu zweifeln – gäbe es nicht eine Landschaft am linken Ufer der Unterelbe, in der Gegend von Stade, deren Friedhöfe (besonders Issendorf, über 3.000 Gräber) in allen diesen Punkten und weit darüber hinaus den englischen Friedhöfen bis in Einzelheiten hinein gleichen. Wenn Bodenfunde als Argument dienen sollen, dann müssten die englischen »Angeln« eher von dort gekommen sein. Dort reicht auch die Besiedlung bis weit in die vermutete Übergangszeit hinein. Vielleicht hat es zwei Wanderbewegungen gegeben: Eine allmähliche Abwanderung im 4. Jahrhundert aus Angeln nach Süden, in das nördliche Niedersachsen hinein; und von dort aus eine weitere Abwanderung nach England, die schließlich unseren Namen Angeln auf die britische Insel tradiert.

Machtverhältnisse und politische Strukturen von der Wikingerzeit bis zur Neuzeit

Zu Beginn der Wikingerzeit, um 811, herrscht in Sliesthorp-Haithabu der Dänenfürst Gudfred. In Verhandlungen mit Karl dem Großen wird die Eider als Grenze zwischen dem Frankenreich und Dänemark festgelegt. 1115 setzt König Niels von Dänemark seinen Neffen Knud Laward als Herzog von Schleswig ein. Unter ihm erhält das Herzogtum die ersten Grundlagen staatlicher Ordnung. Unter König Waldemar II (1202-1241) gelangt Dänemark auf die Höhe seiner Macht. 1214 erkennt Kaiser Friedrich II Barbarossa die Elbe als Südgrenze Dänemarks an. Im Jahre 1386 erhält Graf Gerhard VI von Holstein das Herzogtum Schleswig von der dänischen Königin Margarete als erbliches Lehen. Damit werden das Herzogtum Schleswig und die Grafschaft Holstein erstmals gemeinschaftlich regiert. Nach dem Tode Adolfs VIII., des Sohnes Gerhards, entscheiden sich die Adligen beider Landesteile im Jahre 1460 für den dänischen König Christian I als Landesherrn. In den beiden Urkunden, ausgestellt in Ripen und Kiel, bestätigt Christian die Rechte der Adligen, die Einheit und Eigenständigkeit der Landesteile sowie deren Bindung in Personalunion an das Königreich, d. h. die nur durch ein gemeinsames Oberhaupt hergestellte Staatenbindung.

1231 lässt Waldemar II ein Erdbuch über die königlichen Güter und Einkünfte anfertigen. Das Erdbuch liefert erstmals Aufschluss über die Verwaltungsstrukturen. Hiernach besteht das Herzogtum Schleswig aus drei «Sysseln», die wiederum in verschiedene »Harden« (kleinere Bezirke) untergliedert sind. Angeln bildet die östliche Hälfte des Islathe Syssel. Anstelle der Syssel tritt später die Einteilung in Ämter, die aber kleinere Bezirke umfassen. Bei der Auflösung des Islathe Syssels kommt der nördliche Teil Angelns zum Amt Flensburg, der südliche zum Amt Gottorf. In diesem Jahr gibt es fünf Harden im Bereich Angelns. Der Name Harde ist abgeleitet vom dänischen herred (Bezirk). Zu den fünf Harden Angelns kommen im Laufe der Jahrhunderte noch einige hinzu, ferner scheiden aus den Harden gleichzeitig Besitzungen aus.

Das Kirchspiel Ulsnis gehörte mit den Dörfern Ulsnis, Hestoft, Kius und Steinfeld zum Verwaltungsbezirk des ersten Domkapiteldistrikts in Schleswig, auch Vogtei Hesel bzw. Vogtei Ulsnis genannt. Nur in Ausnahmefällen umfassten die Güter ein ganzes Dorf, meistens handelte es sich um Streubesitz. Die angelner Besitzungen des Domkapitels waren in vier Vogteien zusammengefasst, an deren Spitze jeweils ein bischöflicher Vogt stand.

Die wirtschaftliche Grundlage für die Macht des Schleswiger Bischofs bildeten sein umfangreicher Grundbesitz und seine festen Einkünfte. Die Bauern waren nicht Grundeigentümer, sondern bischöfliche Festebauern, die ihren Landbesitz zu Lehen von einem Grundherrn hatten, gleich einer Erbpacht »gefestet«. Sie mussten einerseits Abgaben an Geld und Naturalien leisten, andererseits zahlten die Einwohner jedes Kirchspiels den »Zehnten«, ursprünglich den zehnten Teil der Getreideernte und des Viehbestandes. Im 16. und 17. Jahrhundert erfolgte die Ablösung der Naturalien durch Geld.

Die Institution des Domkapitels, in Schleswig-Holstein und Skandinavien im 11. und 12. Jahrhundert eingeführt, stellte ursprünglich die Verwaltungsebene der bischöflichen Diözese dar, die sich seit dem 13.Jahrhundert aber zunehmend verselbständigte, mit Privilegien ausgestattet wurde (wie der Gerichtsbarkeit) und im 15. Jahrhundert bereits über derart ausgedehnten Grundbesitz verfügte, dass sie reichster Grundbesitzer innerhalb des Herzogtums Schleswig war.

1658 kommt es zur Landesteilung und Neugliederung der Besitztümer. Die Vogtei wird mit Ausnahme der so genannten Ulsniser Pflüge dem königlichen Besitz angegliedert. Die Ulsniser Pflüge, Streubesitz außerhalb des Kirchspiels, erhält das Herzogtum Gottorf. Mit der Auflösung des Domkapitel-Amtes 1777 wird die Vogtei gänzlich aufgehoben und die Dörfer -nach Jahrhunderten- der Verwaltung der Schliesharde wieder unterstellt. Mit der Wiedereingliederung geht die sogenannte »Festegerechtsame«, der Anspruch auf die Abgaben, vom Domkapitel auf den dänischen König über.

Festebrief von Familie Peter Schmidt
Festebrief von Familie Peter Schmidt

Der Vorsteher der Harde ist der Hardesvogt, Verwaltungsbeamter und Richter in einer Person. In früher Zeit war der Hardesvogt ein Großbauer, dann oft ein altgedienter Offizier und ab 1800 zumeist ein Jurist. Der Hardesvogt führt den Vorsitz im Dinggericht, einem Laiengericht, das an verschiedenen Orten tagte, in der Schliesharde in der Regel in Süderbrarup.

1848/51 erhebt sich Schleswig-Holstein gegen die dänische Zentralregierung. Der Aufstand endet mit einer Niederlage. 1864 kommt es erneut zum Krieg, in Folge dessen Dänemark die Herzogtümer an Preußen und Österreich abtreten muss.

Nach dem Kriege Preußens gegen Österreich wird Schleswig-Holstein 1867 preußische Provinz. Die neue Landgemeindeverfassung von 1867 soll die Verwaltung der Gemeinden regeln, die Umsetzung wird aber erst 1873 in Angeln abgeschlossen. Justiz und Verwaltung werden getrennt, die Rechtssprechung den neu geschaffenen Amtsgerichten übertragen. Der preußische Staat übernimmt die Festegerechtsame, die zumeist in den Jahren zwischen 1870 und 1880 durch eine einmalige Ablösesumme durch die Hufner und Kätner aufgehoben wird. Auf Kreisebene werden zunächst acht Hardesvogteibezirke gebildet, 1888 treten an ihre Stelle die Amtsbezirke. Die Gemeinden Steinfeld, Kius (mit Gunneby) und Ulsnis (mit Hestoft) bilden den Amtsbezirk Ulsnis. Erst im Jahre 1969 wird im Rahmen der Ämterneuordnung das Amt Ulsnis aufgelöst und mit Wirkung vom 1. April 1970 dem neu gebildeten Amt Süderbrarup zugeordnet.

1973 erfolgt in der Gemeinde Kius die Beschlussfassung für die Zusammenlegung mit der Gemeinde Ulsnis. Am 28. Januar 1974 findet die letzte Gemeinderatssitzung der alten Gemeinde Kius statt, am 1. Februar 1974 sind die Gemeinden Kius und Ulsnis formell zur Gemeinde Ulsnis vereint. Erster gemeinsamer Bürgermeister wird Hans Hansen aus Gunneby.

Ulsnisser Kirchspielsgilde von 1614

Die Anfänge der Gilden reichen ins 8. Jahrhundert zurück. Es waren freie Vereinigungen zur Förderung gemeinsamer Interessen, Pflege der Geselligkeit und zur gegenseitigen Hilfeleistung.

Bei der Ulsnisser Kirchspielsgilde von 1614 handelt es sich um die älteste dörfliche Gildesatzung der Landschaft Angeln. Sie regelt die notwendigen Verkehrungen im Falle eines Feuers, die Unterstützungspflicht in Krankheitsfällen, das Verhalten beim Tode eines Mitgliedes sowie den Ablauf des Gildefestes.

Aufgrund ihrer historischen Bedeutung haben wir uns entschlossen, die Satzung in ihrer Gesamtheit zu übernehmen in der aktualisierten Fassung von Herrn Wolke. Sie vermittelt uns außerdem ein Bild von dörflichen Leben im 17. Jahrhundert.

TEXTE KIRCHSPIELSGILDE

Quelle: Jahrbuch des Heimatvereins der Landschaft Angeln, 1960

Soziale Strukturen in Angeln um 1800

Kriege, Epidemien und eine hohe Kindersterblichkeit waren Ursachen dafür, dass die Bevölkerung in den Herzogtümern stark zurückging und um 1760 eine Entvölkerung drohte. Die Katen der Insten, der landlosen Arbeiter, waren armselig und feucht, Brutstätten von Krankheiten und Seuchen. Viehseuchen und geringe Ernteerträge sowie Missernten führten zu großen wirtschaftlichen Schäden. (Den Seuchen 1745 und 1774-82 fielen allein 151.000 Stück Hornvieh zum Opfer).

Erst durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen, unter anderem die Verkoppelung der Felder, Einführung des Mergelns (eine Form der Bodenverbesserung) und des Kartoffelanbaus, sowie Neuerungen im Getreideanbau konnte die Entvölkerung abgewendet werden. Hinzu kamen Schutzimpfungen gegen Seuchen und die allgemeine Verbesserung der medizinischen Kenntnisse.

Mit einem Gesetz von 1804 fand die Aufhebung der Leibeigenschaft ihren Abschluss, bei uns vor allem in den Güterbezirken, darunter Gut Lindau, und in Ostangeln. Zwar enthob es 100.000 Menschen, rund ein Sechstel der Gesamtbevölkerung, des Schollenbandes, doch damit verloren die Leibeigenen auch einen Teil des Schutzes.

Nach der Volkszählung 1803 wurden fünf Sechstel der Gesamtbevölkerung im Herzogtum Schleswig zum Bauerntum gerechnet, allerdings ein Sechstel davon als Insten.

Nach dieser Erhebung gab es in den Herzogtümern etwa 2,7n Prozent Arme, zudem 11,5 Prozent Tagelöhner, 11,6 Prozent Dienstboten und 3,5 Prozent Kätner ohne Land. Somit konnte ein Drittel der Gesamtbevölkerung als arm oder von Armut bedroht eingestuft werden.

Nicht nur in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, sondern in ganz Westeuropa wird seit dem Ende des 18. Jahrhunderts über zunehmende Bettelei geklagt. Einzelne Orte in Stadtnähe verzeichnen um 1780/90 täglich 140–160 Bettler und Vagabunden. Mit diesem Problem ging parallel die Zunahme der unehelichen Geburten. In Schleswig war 1780 eine von 33 Geburten unehelich, 1819 bereits eine von 18; in Holstein 1708 eine von 25, 1819 eine von 13 (Vergleich: in Frankreich 1789 eine von 48 und 1820 eine 11) – worin man in erster Linie einen Sittenverfall sah, jedoch nicht als Folge der Verelendung.

Die Niederlage Napoleons wirkt sich auf den Bundesgenossen Dänemark und somit auch auf die Herzogtümer Schleswig und Holstein verheerend aus. Es kommt zu einer umfassenden wirtschaftlichen Rezession. 1813 muss Dänemark den Staatsbankrott erklären.

Während bis dato zentrale Strukturen, mit der Armenfrage umzugehen, kaum vorhanden waren, auch Armenhäuser noch die Ausnahme bildeten, schaffte es der Gesetzgeber 1808, eine umfassende Armenordnung auf den Weg zu bringen, die in vielen Bereichen zwar Rechtssicherheit schuf, wenngleich sie viele Ausnahmen zuließ. Nach dem Patent des Königs Friedrich VI. durfte niemand mehr aus einem Armendistrikt vertrieben werden. Den Einnahmen der Armenkassen liegen fortan festgeschriebene Beiträge zugrunde – nicht mehr freiwillige Leistungen. Auch das so genannte Heimatrecht wird neu definiert. Nach der Armenordnung 1808 ist das Heimatrecht durch einen dreijährigen und nach einer Abänderung 1829 durch einen fünfzehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt an einem Orte begründet, wohingegen bis dahin jede Gemeinde bestrebt war, Auftreten von Armut durch Abschiebung der Person in Grenzen zu halten.

Allerdings blieb die medizinische Versorgung unzureichend. 1817 gab es im Herzogtum Schleswig lediglich 73 Ärzte.

Detaillierte Berichte der Kirchspiele geben Einblick in die örtlichen Verhältnisse. Für die Kirchengemeinde Ulsnis erstattet Pastor Nicolaus Friedrich Moritzen (1828-52) im Jahre 1834 folgenden Bericht: »Die Preise sind in den letzten Jahren zurückgegangen und damit auch die Armenlasten. Die Erwerbsmöglichkeiten haben sich infolge guter Ernten verbessert, Klagen über Arbeitslosigkeit, die vor einigen Jahren noch groß waren, haben im Augenblick ganz aufgehört. Arbeit findet sich auch dadurch, dass die Bauern ihre Landwirtschaft rationeller zu gestalten suchen und mancherlei Verbesserungen einführen. Eine wesentliche Erleichterung brachte vor einigen Jahren die gesetzliche Aufhebung der Kopfsteuer für diejenigen, die aus der Armenkasse Unterstützung erhalten. Eine weitere Verbesserung würde die Aufhebung der Verbittelsgelder (eine Gebühr, welche die Insten ihrem Herrn für gerichtlichen Schutz zahlen müssen) bedeuten. In erfreulicher Weise wird jede unliebsame Niederlassung dadurch erschwert, dass Wohnungen ohne Land kaum zu haben sind, was nicht allein die Unkosten erhöht, sondern bei tatsächlichem Erwerb auch das Vorhandensein einer Nahrungsgrundlage bedeutet. Trotzdem liegt in der Entrichtung der Hausmiete immer noch die größte Beschwerung der Armenkasse; der Zuschuss betrug im letzten Jahr 200 Mk. Vorgeschlagen wird, zwei Häuser zu kaufen und darin Armenwohnungen einzurichten, womit nur noch 50 Mk. jährlich an Mietbeihilfe verbleiben und die Familien noch besser wohnen würden. In anderen Orten hat dieses Vorgehen sich bewährt, und nicht ohne Grund hat die Behörde dem Kirchspiel einen dahingehenden Vorschlag unterbreitet. Aber man scheut hier aus Kurzsichtigkeit und Eigennutz die Ausgaben.«

Und in dem Visitationsbericht vom 28. August 1843 schreibt er

»Die hiesige Gemeinde wird mit Recht wohlhabend genannt, denn die Aristokratie, welche ebenso gut auf bäuerlichen Besitzungen als auf Rittergütern basiert seyn kann, befindet sich hierselbst in einem recht behaglichen Zustand. — Circa 50 Besitzer größerer Landstellen können bei den jetzigen Preisen der Ländereien wohlhabend, zum Theil reich genannt werden, da sie ihre Besitzungen fast durchweg für eine geringe Summe übernommen haben und bei guten Preisen der Producte und einem vernünftigen Betrieb jährlich mehr oder minder große Ersparnisse zurückzulegen vermögend sind. Diese bilden aber mit ihren Frauen und Kindern nur noch einen kleinen Theil der aus 11 bis 1200 Seelen bestehenden Bevölkerung dieser Gemeine. Die größere Mehrzahl derselben lebt in beschränkter und zum Theil dürftiger Lage. Käthner und Heuerinsten , deren Frauen und Kinder bilden, fremde Dienstboten abgerechnet, den größeren Theil Die Käthner besitzen nur weniges und zum Theil sehr entfernt liegendes Land, welches seiner großen Entlegenheit wegen oft kaum die Betriebslasten zu decken vermögend ist. Sie müssen daher irgendein Nebengeschäft treiben, sich als Handwerker oder Taglöhner etwas verdienen, um bestehen zu können und sind in der Regel nicht imstande, etwas zurückzulegen. — Die Heuerinsten aber, deren Zahl bedeutend ist, sind fast ohne Ausnahme arm oder stehen doch an der Schwelle der Armut, da selbst ein rüstiger Arbeiter, wenn er eine Frau und einige Kinder zu versorgen hat, nicht vermag, so viel zu erwerben, als zur Bestreitung der nothwendigsten Bedürfnisse seiner Familie erforderlich ist — Die Hausmiethe beträgt 8 bis 10 Reichsthaler, die Kopfsteuer für 2 Personen 2 Rthlr, das Verbittelsgeld ½ bis l Rthlr, Kirchspielsabgabe circa l Schilling, Feuerung und Lichtkosten zum wenigsten 3 bis 4 Rthlr, Krankheiten, Wochenbetten, Sterbefälle machen Ausgaben, die sich nicht bestimmen lassen; das Schulgeld erfordert in einigen Districten jährlich ungefähr 2 Rthlr. Ein Taglöhner, der mit seiner Familie auf eigenen Füßen stehen will, muss demnach jährlich wenigstens 20 Rthlr verdienen, ehe er etwas für den Unterhalt und die Bekleidung seiner Familie so wie für seine eigene Kleidung verwenden kann. — Da aber die wenigsten Taglöhner feststehende Arbeit haben und höchstens 4,5 bis 6 Schilling am Tag verdienen, so ist es doch wohl ein sehr einfaches Rechenexempel zu ermitteln, daß ohne eigenes Verschulden bittere Armuth deren trauriges Los werden muss.«

Erst im Jahre 1863 wurde für die Gemeinde Ulsnis ein Armenhaus errichtet.

Quellen

  • Ernst Erichsen: Arm und Reich in Angeln um 1800. In: Jahrbuch des Heimatvereins der Landschaft Angeln 1965
  • Visitationsberichte Pastor Moritzen von 1834 und 1843, SH-Landesarchiv

Die Verkoppelung

Die Bauern im heutigen Gemeindegebiet waren keine freien Bauern (Bonden), sondern Festebauern, die ihr Land gleich einer Erbpacht von der jeweiligen Obrigkeit zur Verfügung gestellt bekamen, d. h. »gefestet« hatten und in einer Feldgemeinschaft bewirtschafteten.

In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die staatlich angeordnete Verkoppelung, eine große Agrarreform, die zur Aufhebung der Feldgemeinschaften und des Flurzwangs, zur Parzellierung der gemeinschaftlich genutzten Wald- und Wiesenflächen (der Allmende) sowie der großen Güter und Staatsdomänen führte. Bis Ende 1804 wurde die Leibeigenschaft rechtskräftig aufgehoben, in einigen Gebieten geschah dies bereits vorher.

Feldgemeinschaften und Flurzwang gehörten eng zusammen. Die Anteile der jeweiligen Hufner an Acker- und Wiesenland wurden jährlich neu verteilt, die Nutzung in gemeinschaftlichen Beschlüssen verbindlich festgelegt. Unter einer Hufe versteht man keine Maßeinheit, sondern eine bäuerliche Hofstelle, die eine besondere rechtliche Stellung innerhalb der Dorfgemeinschaft beinhaltet. Hufner hatten im Gegensatz zu den Kätnern Mitspracherechte bei der Nutzung und Verteilung der Flurstücke und der Selbstverwaltung der Dörfer. Diese rechtliche Stellung hatte Bestand bis zur Umsetzung der preußischen Landgemeindeordnung, eingeführt 1867, umgesetzt bis 1873.

Vereinzelte Versuche, Flurstücke zu tauschen und zusammenzulegen, hatte es bereits vorher gegeben, sie waren aber noch im 17. Jahrhundert von staatlicher Seite unterbunden worden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verschlechterte sich die Situation der Landbevölkerung aber zunehmend. Die Landesherren, durch den Nordischen Krieg und aufwendige Hofhaltung stark verschuldet, mussten feststellen, dass die Steuereinnahmen ausblieben. Die Erdbücher, Vorläufer der Kataster, die als Bestandsaufnahme von Besitz und Einnahmen dienten und nicht zuletzt der Kreditsicherung, verdeutlichen die bäuerlichen Strukturen: Die Zersplitterung der Ackerflächen hatte zugenommen, die Erträge waren gesunken, die Armut und Verschuldung gestiegen.

So kommt es im Jahre 1766 zu der Königlichen Anordnung «Verordnung betreffend die Beförderung der Einkoppelung und Aufhebung der Gemeinschaft der Dorffelder etc. für das »Herzogthum Schleswig«. Dieses sogenannte »Verkoppelungsgesetz« führt zur Aufhebung der Feldgemeinschaften und des Flurzwangs.

Im Gesetz wird die Anlage von Knicks in Form lebender Wallhecken angewiesen. Da die Knicks für die Landschaft Angeln von besonderer Bedeutung sind, sei an dieser Stelle kurz darauf eingegangen: »Das Resultat sah im Idealfall so aus, dass jeder Hof von nun an etwa zehn bis zwölf eingefriedigte Koppeln besaß, die in einem festen Turnus bewirtschaftet wurden. Die Fruchtfolge konnte dabei etwa so aussehen: in den ersten fünf bis sechs Jahren nacheinander Raps, verschiedene Getreidearten, Hackfrüchte und Kleehafer, in den folgenden fünf Jahren wurde die Koppel in Weideland umgelegt und im zwölften Jahr folgte die Brache mit reichlicher Düngung. Im Zusammenhang mit der Brache wurden auch die Knicks abgeholzt, so dass die Koppel während der Nutzung als Pflugland nicht zu sehr beschattet wurde. Das abgetriebene Holz diente als Feuerung und lieferte außerdem alles, was an Hölzern für Arbeitsgeräte ... gebraucht wurde. Nach rund sechs Jahren waren die Knicks so stark ausgeschlagen, dass sie für die folgenden Weidejahre als Schattenspender und zugleich als wehrhafte Zäune dienen konnten…«. Aus: Arnold Lühning: Koppelwirtschaft und Knicks. In: Jahrbuch des Heimatvereins der Landschaft Angeln, Jg. 1988, S.64.

Nach Vermessung und Aufteilung des Landes wird der Besitz erneut in Erdbüchern festgelegt. Jeder Bauer bekommt Ackerland sowie Wald- und Wiesenanteile. Die Durchführung der Verkoppelung dauerte zum Teil 50 Jahre, bis alle Widerstände und Einsprüche ausgeräumt waren.

Quellen

  • Arnold Lühning, Koppelwirtschaft und Knicks. In: Jahrbuch der Heimatvereins der Landschaft Angeln 1988
  • H. J. Kuhlmann: Besiedlung der Landschaft Angeln, 1958

Die Hufen in den vier Dörfern der Gemeinde (in Klammern die Besitzer im Jahre 2010)

DORF ULSNIS
  1. Hinrich Holländer (P. Lorenzen)
  2. Johann Christian Nissen (K. Möller)
  3. Peter Jürgen Wienke (P. Landtau)
  4. Nis Callsen (Firma Rosenkrantz)
  5. Lorenz Ewoldsen (H. P. Hansen)
  6. Mathias Nissen (C. Andresen)
  7. Christian Detlefsen (J. Schmidt)
  8. Marx Tönnsen (C. D. Tönnsen)
  9. Hans Marxen (S. Putbrese)
  10. Peter Mangelsen (W. Gabriel)
  11. Claus Hansen (D. Hansen)
  12. Marx Henningsen (H. u. K. Neumann)
DORF KIUS
  1. Hans Hinrich Petersen (H. u. I. Krefft)
  2. Peter Jürgen Schmidt (D. Jacobsen)
  3. Asmus Schmidt (H.-H. Schmidt)
  4. Peter Dietrichsen (M. Delz)
  5. Peter Gabriel (H. Lass)
  6. Tönnis Hans (Firma Dank)
DORF HESTOFT
  1. Johann Hinrich Wienke (Aufgelöst)
  2. Peter Jürgen Rasch (R. Witt)
  3. Hinrich Michelsen (W. Carstensen)
  4. Johann Hinrichsen (K. v. Reden)
  5. Detlef J. Wilhelmsen (J. Jacobsen)
  6. Marx Mattsen (H.-H. Hansen, Tolk)
  7. Peter Jürgen Jessen (Fel. Carstensen)
  8. Claus Henningsen (K. Klinker)
DORF GUNNEBY
  1. Friedrich Matthiesen (D. W. Hansen)
  2. Detlef Christian Detlefsen (H. W. Hansen)
  3. Carsten Erichsen (C. Andresen)
  4. Peter Thomsen (J. u. E. Matthiesen)
  5. Andreas Simonsen (H. Wenzel)

Zwischen den Weltkriegen

Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges führten auch im ländlichen Bereich zur allgemeinen Verelendung. Die Inflation der Jahre 1920-1923 und instabile politische Verhältnisse im Deutschen Reich und der Provinz Schleswig-Holstein schufen verheerende Zustände.

Um den großen Erfolg der NSDAP bei den Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1932 zu verstehen, ist es wichtig, die Situation der ländlichen Bevölkerung und der Landwirtschaft zu kennen, denn bei der Gründung des Gaus Schleswig-Holstein der NSDAP am 1. März 1925 waren weder Industriearbeiter noch Bauern vertreten.

Die schleswig-holsteinische Landwirtschaft war seit dem Ende des Jahres 1927 in eine zunehmend schwerer werdende Krise geraten. Einerseits führte die verstärkte ausländische Konkurrenz für landwirtschaftliche Produkte zu niedrigen Preisen, andererseits war bedingt durch lange Regenperioden die Ernte des Jahres 1927 schlecht ausgefallen. Da es der Landwirtschaft nicht gelungen war, nach der Inflation 1923 neues Eigenkapital zu bilden , sondern sie stattdessen für neue Investitionen Kredite aufnehmen musste, kam diese Zinsbelastung hinzu. Während die Erlöse bei niedrigeren Preisen stagnierten oder gar zurückgingen, blieb die Belastung der bäuerlichen Betriebe durch Steuern und Abgaben oder erhöhte sich sogar.

Die Bauern fühlten sich von den im Reichstag vertretenen Parteien nicht mehr repräsentiert, selbst in bäuerlichen Verbänden in der Provinz drohte die Entwicklung zu entgleiten. Es bildete sich die »Landvolkbewegung«, die in den Jahren 1928/29 durch Gewalttaten und Sprengstoffanschläge auf sich aufmerksam machte.

Da auch dieser Bewegung kein Erfolg beschieden war, suchte man mehr und mehr den Anschluss an eine Partei, die ihrerseits dem Weimarer System abgewandt war. Gleichzeitig hatte die NSDAP ihre Chance erkannt, fortan die Interessen der Bauern zu vertreten. Sie strich sämtliche sozialistischen Zielsetzungen und begann, ihr Parteiprogramm bewusst auf die Forderungen der Landwirte hin zu ändern. Zunächst im westlichen Teil des Landes, in Dithmarschen, später in der ganzen Provinz Schleswig-Holstein wurde die NSDAP 1932 stärkste Partei.

Wahlergebnisse zum Reichstag 1930–1933 in der Gemeinde Ulsnis (Ulsnis und Hestoft)

Von 288 Wahlberechtigten beteiligten sich 212 Bürger an der Reichstagswahl am 14. September 1930.

Parteien (Auswahl)

193031.7.19326.11.19325.3.1933
NSDAP60157132172
SPD38584840
KPD5982
Zentrum1721
DNVP172431
Deutsche Volkspartei19422
Wirtschaftspartei121
Deutsche Staatspartei161033
Bauern und Landvolk29
Deutsche Bauernpartei6
Konservative Volkspartei3
Christlich Sozialer Volksdienst6772
Kampffront Schwarz-Weiß-Rot34
Wahlergebnisse zum Reichstag 1930–1933 in der Gemeinde Kius (Kius und Gunneby)

In der Gemeinde Kius waren 227 Bürger bei der Reichstagswahl 1930 wahlberechtigt.

Parteien (Auswahl)

193031.7.19326.11.19325.3.1933
NSDAP4712286110
SPD18191312
KPD37126
Zentrum11
DNVP183554
Deutsche Volkspartei832
Wirtschaftspartei7
Deutsche Staatspartei7
Bauern und Landvolk?
Deutsche Bauernpartei
Konservative Volkspartei
Christlich Sozialer Volksdienst77
Kampffront Schwarz-Weiß-Rot50

Das Ende der kommunalen Selbstverwaltung

Mit dem Gemeindeverfassungsgesetz vom 21.12.1933, das am 1. Januar 1934 rechtskräftig wird, zerschlagen die Nationalsozialisten die demokratische kommunale Selbstverwaltung:

»I (3) Der nationalsozialistische Staat gründet sich auf dem Gedanken der unbeschränkten Führerverantwortlichkeit. Er lehnt Einrichtungen parlamentarisch-demokratischer Art, die diese Führerverantwortlichkeit verwischen, unbedingt und leidenschaftlich ab«.

Ab dem 1. Januar 1934 hat die NSDAP – für die Landgemeinden in Gestalt des Landrats – das Vorschlagsrecht bei der Berufung des Bürgermeisters, der fortan auf zwölf Jahre ernannt wird und zukünftig Gemeinde- oder Dorfschulze heißt. Der Leiter der Gemeinde wiederum hat das Vorschlagsrecht für die Berufung der beigeordneten Räte, die nur noch beratende Funktion haben und »Schöffen« und »Gemeindeälteste« genannt werden.

Zu berufen waren:

  1. der oberste örtliche Leiter der NSDAP, der rangälteste Führer der Sturmabteilungen (SA) oder der Schutzstaffeln (SS) der NSDAP auf die Dauer ihres Amtes,
  2. sonstige erfahrene und verdiente Männer unter Berücksichtigung der Berufsstände, die die Gemeinde prägen, auf die Dauer von sechs Jahren, wobei alle zwei Jahre ein Drittel auszuscheiden hatte.

Die Berufung dieser Gemeinderäte erfolgte durch die Aufsichtsbehörde ( im Falle der Landgemeinden der Landrat ) auf Vorschlag des Gauleiters der NSDAP.

Die Begriffe »Schulze« und »Schöffen« haben sich nicht durchgesetzt. Nach einer neuen Hauptsatzung vom August 1935 wurde wieder auf das gewohnte »Bürgermeister« und »Gemeinderäte« zurückgegriffen, das »Führerprinzip« aber beibehalten.

Zur Zwangsarbeit nach Ulsnis

Als »Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz« war ab 1942 der Gauleiter von Thüringen, Fritz Saukel, direkt verantwortlich für die Heranziehung aller verfügbaren Arbeitskräfte im von Deutschland besetzten Europa. In seiner Anordnung Nr. 10 vom 22. August 1942 wies er die deutschen Behörden in allen besetzten Gebieten an, Regelungen für Zwangsmassnahmen zur Anwerbung zu treffen.

So waren auf dem Gebiet des »Großdeutschen Reiches« Ende 1944 knapp acht Millionen ausländische Arbeiter und Kriegsgefangene als »im Arbeitseinsatz« gemeldet tätig – nicht eingerechnet diejenigen, die freiwillig und zeitweilig im »Reichseinsatz« waren, nicht eingerechnet Hunderttausende von in Konzentrationslagern internierten Menschen.

Von den knapp 8 Millionen ausländischen Arbeitern und Kriegsgefangenen entstammten ca. 2,8 Millionen Menschen den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – als »Ostarbeiter« bezeichnet – und etwa 1,7 Millionen aus Polen, wobei die 300.000 polnischen Kriegsgefangenen ab Frühsommer 1940 nahezu vollständig in den Zivilarbeiterstatus überführt wurden.

Die Behandlung von Polen und »Ostarbeitern« war durch Erlasse geregelt, den »Polenerlass« vom 8.3.1940 und den »Ostarbeitererlass« von Februar 1942. Unmissverständlich wurde den polnischen Arbeitern klar gemacht, dass Verstöße gegen die Vorschriften mit Einlieferung in ein Straf-, Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslager und geschlechtlicher Kontakt mit Deutschen mit der Todesstrafe geahndet wurden. Der »Ostarbeitererlass« entsprach dem Polenerlass, war in einigen Punkten jedoch noch schärfer formuliert.

Laut Meldelisten des Amtes Süderbrarup und bekannten Unterlagen des Landesarchivs in Schleswig waren im heutigen Bereich der Gemeinde Ulsnis ca. 140 Zwangsarbeiter im Einsatz. Sie waren überwiegend in der Landwirtschaft tätig und stammten in der Mehrzahl aus Polen, aber auch aus Russland, der Ukraine, der Slowakei, aus Jugoslawien, Litauen und Lettland, sowie aus Belgien.

Zwangsarbeiter konnten von Gemeinden, Betrieben und Ortsbauernschaften angefordert werden. Die ersten Zwangsarbeiter waren in Lagern, so genannten Kommandos, untergebracht, von denen es eines jeweils in Ulsnis, Kius und Gunneby gab, später allerdings zunehmend auch auf den Hofstellen selbst.

Zwangsarbeiter im Sonntagsstaat
Zwangsarbeiter im Sonntagsstaat

Im Bereich der Gemeinde Ulsnis hat es keine Hinrichtungen von Zwangsarbeitern gegeben. Überwiegend wurden die Menschen gut behandelt, einige haben die Gemeinde nach dem Kriege wiederholt besucht. Allerdings hat es auch Fälle gegeben, die zur Verhaftung bzw. Einlieferung in das 1944 geschaffene »Arbeitserziehungslager« in Kiel-Russee führten, und in einem nachweisbaren Fall dort mit dem Tode des Betroffenen endete.

Zwangsarbeiter in der Freizeit
Zwangsarbeiter in der Freizeit
Zwangsarbeiter in Ulsnis
  • Adamiak, Kasimir
  • Anderwald, Willi
  • Augustynski, Leo
  • Bahdaj, Maria
  • Bartoszewski, Mikolaj
  • Baszczynski, Stanislaus
  • Bialecki, Eugenius
  • Bielecki, Francinek (Franticzek)
  • Blazejezyk, Josef
  • Bogacki, Josef
  • Bogdanski, Cseslav
  • Boksa, Stanislaus
  • Borysiak, Josef
  • Bukowski, Ludwig
  • Buley, Stefan
  • Burke, Clemens (Bukre, Burka, Bukra)
  • Chmielewski, Andreas
  • Cichocki, Anton
  • Ciesielski, Waclaus
  • Czajkowski, Stanislaus (Czaikowski)
  • Dieminko, Wiktor
  • Drobnik, Tomasz
  • Dusza, Franz
  • Fis, Josef
  • Fis (geb.Stokowski) Marija
  • Forcki, Adam
  • Furmaniuk, Mychailo
  • Gerasinowa, Antonia
  • Glinski Miecyslaus (Miecyslaw)
  • Gorka, Bernhard
  • Görny, Albin
  • Gouwy,, Albert
  • Janczyn, Kasimir
  • Janiak, Marian
  • Javorska, Hermine
  • Jeziorkowski, Edmund (Jesierkowski)
  • Jonkala, Mieczyslaus
  • Kaczmarek, Hiromie (Evt. Tausch Vor- u. Nachname)
  • Kaczmarek, Valentin
  • Kalanka, Stefan
  • Karzkowiak, Sylvester (Kaczkowiak)
  • Kasprzek, Michel (Kasprzak)
  • Kazynski, Bernhard
  • Kirszling, Aleksander (Alexander)
  • Klajna, Riszarda (Ryszarda)
  • Klawikowski, Robert
  • Klimasek, Max (Kliemaszek, Maks)
  • Kobus, Alois
  • Kobus, Grenefeva
  • Kobus, Sophia
  • Kocak, Michalina
  • Kocak, Tadeus
  • Kochmann, Anton
  • Kohnke, Johann (Köhnke)
  • Kositzki, Tomasz
  • Kowalski, Martin
  • Kozera Ignacz
  • Krepicz, Tekla
  • Krosniewski, Leo (Krasniewski)
  • Krosniewski, Wladislaus
  • Kudlage, Matheus
  • Kulig, Maria
  • Kuwalki, Jan
  • Kwiatkowski, Josef
  • Lasiella, Josef (Sasiella, Fasilla, Lasiela, Fasella)
  • Lasowski, Alex (Lazowski, Jasowski,Aleksander)
  • Lis, Johann
  • Luzara Stanislaus
  • Machutt, Peter
  • Magdic, Iwan
  • Maslanka, Anton
  • Miserski, Mieczyslaus (Mizerski)
  • Mureikaite, Agata
  • Orlowski, Ignaz (Ignatz)
  • Pawlusiak, Franz
  • Piaskowski, Michael
  • Piatkowski, Marianne
  • Pinkos Johann
  • Purski, Johann
  • Pusch, Boleslaus (Pusca)
  • Pusch, Maria (Pusca, Puza)
  • Pytlarczyk, Hipolit
  • Reczek Piotr
  • Riegori Clara
  • Riegori Iwanow (Rigori)
  • Ritter, Nikolaus
  • Rjabez, Serafin
  • Rosinski, Johann
  • Rositzki, Tomaz
  • Sierny, Karl (Siezny)
  • Sklerski, Johann (Sklarski)
  • Sobieraj, Johann
  • Sot, Franziscek (Franziszek)
  • Stempien, Josef
  • Stokowski, Josef
  • Swiecicki, Edmund
  • Switala,, Stanislaus (Switealla)
  • Sykta, Marian
  • Tomaszewski, Vinzent
  • Tschodors, Eugenija
  • Tyloch, Gertrud
  • Urbaniak, Stanislaus
  • Wasalski, Stanislaus
  • Weide, Herbert
  • Wellniak, Stanislaus
  • Wiesniewski, Marian (Wisniewski)
  • Wisniewski, Johanna
  • Wisniewski, Sigismund (Wiesniewski, Zygmunt))
  • Wisniewski, Stanislaus
  • Wisniewski, Theodora (Ehefrau)
  • Wisniewski, Waclaus
  • Witkowska, Helena
  • Witkowska, Sophia
  • Witkowski, Leo
  • Witkowski, Stanislaus
  • Witkowski, Stefan
  • Woytos, Anton (Wojtas)
  • Zawko Wassye

Die Lebensgeschichte von Mariechen Kohnke

Geschrieben für ihren Enkel

Mein Name ist Mariechen Margarete Kohnke, geborene Hansen, geb. am 30.11.1925 in Hestoft, Gemeinde Ulsnis, Kreis Schleswig.

Ich bin am 8.4.1932 zur Schule gekommen, in Ulsnis. Es gab nur zwei Schulräume mit je vier Klassen. In den ersten vier Jahren hatten wir den Lehrer W. Schmidt, danach Lehrer Krey. Seit 1933 war Adolf Hitler an der Regierung, es gab dann die Hitlerjugend. Die Mädchen gingen zum B.D.M. (Bund Deutscher Mädchen). Zweimal in der Woche mussten wir zum Dienst. Wir trugen eine Uniform, weiße Bluse, schwarzer Rock und um den Hals ein schwarzes Tuch mit braunem Lederknoten. Eines Nachmittags musste ich wieder zum Dienst, doch meine Großmutter sagte: »Du bleibst hier um Heu auf der Wiese zu harken.« Ich antwortete: »Wenn ich den Knoten um habe, hat Hitler zu sagen und nicht du!« Ich bekam eine Ohrfeige, musste mich umziehen und aufs Feld gehen. In den letzten beiden Schuljahren mussten wir uns die Rede von Hitler im Radio anhören. Der Lehrer Krey war Ortsgruppenleiter der SA.

1939, Kriegsanfang, kamen die ersten Kriegsgefangenen aus Polen. Mit einem Wachmann wurden sie zum Bauern gebracht. Der Lehrer sagte uns: »Die schneiden euch die Zunge ab.«. Wir hatten Angst und sind über die Felder nach Hause gegangen. Die Gefangenen mussten ein gelbes Abzeichen mit einem P. tragen, damit man sie erkennen konnte. Am 1. Mai 1941, es war immer noch Krieg, kam ich zum Bauern Tollgaard nach Ulsnis zur Arbeit. Dort lernte ich meinen späteren Mann Jan Kohnke kennen. Er war Kriegsgefangener aus Polen. Wir durften nicht zusammen gesehen werden, es sei denn bei der Arbeit. Deutsche Mädchen durften sich nicht mit einem Ausländer treffen. Wir taten es heimlich.

1943 mussten alle Ausländer der Umgebung nach Süderbrarup. Dort wurde einer ihrer Kameraden aufgehängt, weil er mit einem deutschen Mädchen befreundet war. Das Mädchen kam auf einen Mistwagen und wurde durch die Straßen gefahren und ausgepeitscht. Danach kam sie ins Konzentrationslager nach Oranienburg bei Berlin. Danach hatten wir besonders große Angst, dass uns jemand sehen würde. Vier Wochen vor Kriegsende wurden wir dann doch noch angezeigt, doch der Bürgermeister hat die Anzeige nicht weitergeleitet. Das rettete uns das Leben.

Nach Kriegsende kamen die Gefangenen auf die Insel Sylt. Später bin ich mit dem Fahrrad nachgefahren. Ein paar Wochen später kehrte Jan zurück nach Ulsnis, dort haben wir am 17.10.1945 geheiratet. Am 1.12.1945 ließen wir uns auf Sylt kirchlich trauen. Von da kamen wir in ein Lager nach Eckernförde. Im Herbst 1946 sind wir zu den Großeltern nach Hestoft gezogen. Am 23.12.1947 wurde unser Sohn Herbert geboren. 1948 gab es eine Währungsreform, jeder bekam für 40 Reichsmark 40 DM. Das andere gesparte Geld wurde entwertet. Es gab danach keine Arbeit, und so entschlossen wir uns auszuwandern. 1949 kamen wir nach Frankreich, doch da wurde es auch nicht besser. Wir kamen von einem Lager zum nächsten. 1950 zogen wir zurück nach Deutschland. Zuerst kamen wir nach Münster, von da aus nach Augustdorf in ein Lager.

Zuletzt kamen wir nach Bielefeld in eine Wohnung. Jan bekam Arbeit, und von da an ging es uns besser. 1958 wurde unsere Tochter Ursula geboren. Mein Mann und ich waren fast 50 Jahre verheiratet, doch 3 Monate vorher starb Jan. Jetzt bin ich alleine, habe aber meine Kinder und Enkelkinder. Jan ist der Jüngste!

Mariechen Kohnke

2. Weltkrieg

Auch der Bereich der Gemeinde Ulsnis war während des Zweiten Weltkriegs von Kriegshandlungen betroffen.

Am 9. April 1944, dem Ersten Ostertag, wurden aus einem alliierten Bomberverband, der aus Stettin zurückkehrte, mehrere Flugzeuge abgeschossen. Ein Bomber stürzte über Schwansen ab. Zwei Besatzungsmitglieder landeten in Schwansen, die Übrigen trieben über die Schlei nach Angeln. Ein Mann, der verwundet war, landete in Goltoft, vier Mann in Ulsnis- Strand. Ein Besatzungsmitglied landete in der Schlei, er wurde von Hermann Marxen geborgen. Ein weiteres Besatzungsmitglied landete im Gunnebyer Noor. Hilfswillige wurden an der Rettung gehindert, seine Leiche wurde später in Sieseby angetrieben.

Die Gefangenen wurden in der Schule in Ulsnis untergebracht und von einem Kommando der Marineartillerie aus Eckernförde abgeholt.

Am 11. April 1944 beschossen alliierte Tiefflieger August Geidis bei der Feldarbeit in Ulsnis-Strand. Er wurde durch ein Geschoss im Oberschenkel schwer verwundet.

Leonhard Möller hat in einem Beitrag unter dem Titel »Die Ein- und Ausflugschneise Südangeln« auch über die Bombenabwürfe in Ulsnis-Kirchenholz berichtet. Wir geben den Beitrag in korrigierter Fassung wieder.

Am 25. August 1944 wird ein USAAF-Bomber aus einem Verband amerikanischer Bomber, die auf dem Weg nach Nordostdeutschland sind, von der Flak- Stellung in Barkelsby angeschossen. Hermann Tüxen, zu der Zeit als Horchfunker in Schobüll bei Husum tätig, bekam folgende englische Meldung zu hören: Der Pilot meldete seinem Staffelkapitän, dass er schwer getroffen sei und die Bomben loswerden müsse, um zu seiner Basis nach England fliegen zu können. Der Pilot gab den Befehl zum Notwurf, um 11.55 Uhr fielen sechs Sprengbomben von 500 und 250 kg auf Ulsnis-Kirchenholz. Die erste Bombe fiel auf die Kreisstraße zwischen Gaststätte und dem Kaufmannsladen sowie der Scheunendurchfahrt, die zweite fiel auf die Scheune. Des Weiteren wurden 24 Stabbrandbomben abgeworfen, jeder Bombentrichter glich einem Krater von 10 m Tiefe und16 m Durchmesser.

Zwangsarbeiter in Kius 1940
Zwangsarbeiter in Kius 1940
Bombenschäden in Ulsnis-Kirchenholz
Bombenschäden in Ulsnis-Kirchenholz

In der Scheune wurde die 19 jährige Zwangsarbeiterin Ryszarda Klayna aus Polen getötet, dem Lehrling Gerhard Petersen musste ein Bein amputiert werden. Der Bauer Heinrich Schmidt wurde von Splittern derart getroffen, dass er die Sehkraft eines Auges verlor und einen Schädelriss erlitt. Im Kaufmannsladen wurde der zweite Lehrling an den Beinen schwer verwundet. Die Scheune der Gastwirtschaft wurde zerstört, alle umliegenden Gebäude beschädigt.

Im Nachbarhaus der Familie Kohrs/Schwendt schlug ein Feldstein von ca.100 kg durch das Dach, durch die Zimmerdecke, durch den Tisch und landete auf dem Fußboden.

In einem anderen Fall stürzte 1944 ein englischer Jagdbomber bei Ulsnis-Feld nieder. Allein im August dieses Jahres wurden in unserer Gegend sechs alliierte Maschinen abgeschossen.
Quellen

  • Jahrbuch des Heimatvereins der Landschaft Angeln, 2006
  • Chronik der Gemeinde Ulsnis

Zeitzeugen

  • Peter C. Schmidt, Ulsnis Kirchenholz
  • Hans Jürgen Ohl, Ulsnis
  • Peter Marxsen, Ulsnis Feld
  • Karl-Heinz Philipp – Süderstapel
Landungsschiffe suchten Schutz im Gunnebver Noor

Kurz vor Kriegsende, Anfang Mai 1945, kamen vier Landungsschiffe ins Gunnebyer Noor um Schutz vor den Alliierten zu suchen. Das Versorgungsschiff trug den Namen »Malchen«, die anderen Schiffe hatten nur Nummern. Die Besatzung suchte den Kontakt zur Dorfbevölkerung. Sie ging von Haus zu Haus und lud alle zum 25. Mai zu einem Bordfest mit Bohnenkaffee und Berlinern ein. Die Soldaten spielten zuerst ein Theaterstück. Danach wurde gefeiert. Um 22 Uhr war die Polizeistunde und danach durfte keiner mehr auf der Straße sein.

Die Besatzung genoss das Ansehen der Dorfbevölkerung und hielt den Kontakt aufrecht. Man freute sich sehr über die Zuwendung aus der Feldküche, denn Kaffeebohnen, Knäckebrot, Dosenwurst und Schokolade gab es bisher nicht und war deshalb sehr begehrt.

Nachdem Ulsnisland von den Engländern besetzt wurde, floh die Besatzung mit dem Schiff nach Kamär bei Lindaunis.

Im August fand in Rendsburg die Entlassung der Soldaten statt. Einige Besatzungsmitglieder hatten in Gunneby eine Partnerin gefunden und blieben hier in unserem Umkreis. Der größte Teil ließ sich jedoch in das Rheinland entlassen, weil sich dort bessere Arbeitsmöglichkeiten boten.

Die Evakuierung von Ulsnisland

In der Schlussphase des 2. Weltkrieges wurde Schleswig-Holstein zum Ziel einer Massenflucht aus den Deutschen Ostgebieten. Das lag daran, dass viele Transporte über See gingen und dass der Norden Deutschlands noch nicht von alliierten Truppen besetzt war.

Die Zahl der Zivilbevölkerung in Schleswig-Holstein betrug im Februar 1944 1,577 Mio., im März 1945 1,769 Mio. und im Juni 1945 2,435 Mio. Am 1.12.1945 wurden in Schleswig-Holstein 950.900 Flüchtlinge und Evakuierte gezählt. Darüber hinaus war Schleswig-Holstein 1945 auch Aufnahme- und Registrierungsgebiet für gut 1 Million deutscher Soldaten. Für das Land bedeutete dies alles eine außerordentliche Belastung. Allein in Ulsnisland waren an die 100 Flüchtlinge untergebracht.

Nach Inkrafttreten der Gesamtkapitulation um Mitternacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 wurde auch das nördliche Schleswig-Holstein militärisch von den Briten besetzt. In der Gemeinde Ulsnis wurde der Ortsteil Ulsnisland am 11.5.1945 abgeriegelt und an die 200 Besatzungssoldaten wurden in den dort requirierten Häusern untergebracht. Die Bewohner dieser Häuser und die dort auch schon untergekommenen Flüchtlinge wurden innerhalb kürzester Zeit »evakuiert« und mussten woanders, überwiegend oben im Dorf, untergebracht werden; Landwirtschaft konnte nur noch eingeschränkt betrieben werden. Das notwendige Mobiliar wurde, sofern Transportmöglichkeiten vorhanden waren, mitgenommen. Viel blieb aber zurück, da einfach kein Platz in den neuen Unterkünften dafür vorhanden war. Die Unterbringung der Anwohner von Ulsnisland war schwierig, da Unterkünfte auch oben im Dorf aufgrund des Flüchtlingszugangs knapp waren.

Den Bewohnern war der Zutritt nach Ulsnisland untersagt; nur mit einem Passierschein für die, die Tiere zu versorgen hatten, konnten einige den Sperrbezirk betreten.

Die Kontrollstelle mit Schlagbaum und bewaffneten Wachposten war beim Landschulheim hinter der Abbiegung zur Fischerstraße.

Während der Besatzungszeit waren folgende Ulsnislander evakuiert:

  • Haus-Nr. 1 – Hofstelle Hermann und Dora Schmidt. Die Familie Schmidt wohnte auf dem Hof der Eline Tollgaard und dort in den Kellerräumen. Hermann Schmidt war der englischen Sprache mächtig und konnte bei den Besatzern durchsetzen, dass das Vieh auf seinem Hof verblieb. Ihm war es auch erlaubt, der täglichen Hofarbeit dort nachzugehen.
  • Haus-Nr. 2 – Die Familie Hermann und Martha Thomsen war zunächst im Landschulheim, dann in der Schule zu Ulsnis untergebracht.
  • Haus-Nr. 10 – Familie Ehlers zog auf die Hofstelle Uwe Hansen.
  • Haus-Nr. 14 – Hofstelle Hermann und Marie Klinker. Hermann Klinker hatte schon vorher Land beim Pastorat gepachtet. Er und seine Frau kamen in der dortigen Scheune unter.
  • Haus-Nr. 16 – August und Magarethe Ebsen. August Ebsen stammt aus Steinfeld. Die Familie kam bei seiner Schwester und ihrem Mann Hans Holm in Steinfeld unter.
  • Haus-Nr. 18 – Friedrich und Martha Puhle wohnten beim Kaufmann Schmidt in Kirchenholz.
  • Haus-Nr. 20 – Hans Schulz arbeitete auf dem Hof von Joseph Kohnke und kam auch dort unter.
  • Haus-Nr. 22 – Nicolaus und Christina Marxen.Verwandtschaft war in Hagab ansässig; die Unterbringung war dort möglich.
  • Haus-Nr. 23 – Magda Kohrs, geb. Ohl wohnte bei Theodor Kohrs in Kirchenholz.
  • Haus-Nr. 24 – Miele Matz (Matz-Krug). Sie wohnte im Arbeiterhaus von Ulsnis.
  • Haus-Nr. 25 – Theodor Ohl. Er kam bei seinen Verwandten am Gallberg, der Hofstelle H. Jürgen Ohl, unter.
  • Haus-Nr. 26 – Martha Schlaak und Sohn Herbert wohnten in Hestoft.
  • Das Fährhaus war zuerst mit deutschen Soldaten belegt, später dann durch die britischen Soldaten. Der Pächter Bahne Michelsen kam mit seiner Familie beim Kaufmann Kratzenberg unter. Die ebenfalls im Fährhaus wohnende Erna Jahnke fand Unterschlupf bei Theo Oehlert oben im Dorf.
  • Haus-Nr. 27 – Bernhard und Anne Ohl. Die beiden waren im Abnahmehaus von Johannes Marxsen untergebracht.
  • Haus-Nr. 31 – Willy Otto war oben im Dorf untergebracht, Näheres ist nicht bekannt.
  • Haus-Nr. 33 – Margarethe Schulz war oben im Dorf untergebracht, Näheres nicht bekannt.
  • Haus-Nr. 44 – Adolf und Luise Marxen mit Tochter Magdalene wohnten im Abnahmehaus von Bauer Lorenzen.
  • Haus-Nr. 46 – August Geidies und Martha Schaaf konnten in der Bäckerei im Dorf wohnen.
  • Haus-Nr. 51 – Minna Petersen wohnte in Kappeln.
  • Haus-Nr. 53 – Westbankhaus. Das Verwalterehepaar Max und Marie Gottmann kam in Tolk unter.
  • Haus-Nr. 55 – Strandhotel Georg Lüdemann. Hierher war schon während des Krieges ein Rüstungsbetrieb aus Kiel ausgelagert worden. Während der Besatzungszeit wohnte Georg Lüdemann bei Heinrich Schmidt am Gallberg.

Die Militärregierung hat sehr schnell das Ingangsetzen eines parlamentarischen Lebens zugelassen und auch in Schleswig-Holstein begann das eigenverantwortliche Planen und Handeln der Verwaltungsorgane.

Die Briten, die sich in Ulsnisland überwiegend korrekt verhalten hatten, zogen bereits ab September 1945 nach Schleswig ab. Die Evakuierten konnten in ihre Häuser zurückkehren, mussten aber an die 100 Flüchtlinge aufnehmen.

Eine Volkszählung im Oktober 1946 hat ergeben, dass in Ulsnisland wieder 74 Bürger und immerhin noch 63 Flüchtlinge wohnhaft waren.

Der große Treck von Pommern an die Schlei

[ Text von Ingrid Schmidt, geb. Drews. ] Die Erinnerung an diese Flucht wird mich mein Leben lang verfolgen und deshalb habe ich nie so gerne darüber gesprochen.

In meinem Elternhaus, wo ich aufwuchs, gab man mir alles, was ich für mein Leben brauchte. Nach meiner Schulzeit war ich als Schwesternhelferin 3 ½ Jahre in Krankenhäusern und Lazaretten tätig. Im Dezember 1944 kehrte ich in meine Heimat zurück. Der Krieg tobte in Ost und West weiter. Wir bekamen hier die Flucht der deutschen Bevölkerung aus Ost- und Westpreußen zu spüren. Die Menschen taten uns sehr leid, und wir halfen, wo wir nur konnten. Ende Januar 1945 hofften wir, in unserer geliebten schönen Heimat bleiben zu können, es kam alles anders. Ostpommern wird im Osten von Ostpreußen, im Süden durch die Netze, im Westen durch die Oder und im Norden von der Ostsee begrenzt. Dieses Gebiet war seit Oktober 1944 für große Teile der Bevölkerung Ostpreußens und Deutsche aus Westpolen zum Fluchtraum geworden. Für die Flüchtenden, die aus Platzmangel keine Aufnahme mehr finden konnten, wurde es Durchmarschgebiet. Vielen von ihnen wurde dadurch eine nochmalige Flucht erspart.

Die ersten Einfälle der russischen Truppen fanden in dem am östlichsten gelegenen Teil Westpreußens Anfang Januar 1945 statt. Dann folgte Ende Januar der Einfall in die südlichen Gebiete Pommerns. Obwohl die Treckwege und Aufnahmegebiete für die aus diesen Teilen fliehenden Ostdeutschen vorher festgelegt waren, kamen die Räumungsbefehle viel zu spät.

Nur in sehr wenigen Landkreisen verlief die Evakuierung planmäßig. Für die Einwohner vieler Gemeinden wurde erst dann die Räumung befohlen, wenn russische Panzer bereits in nächster Nähe waren. In den Landkreisen war der Anteil der Ostdeutschen, die von den Russen überrollt wurden, besonders groß.

Die Bevölkerung ostwärts der Pommernstellung musste am 26. und 27. Januar bei Schneesturm und grimmiger Kälte auf eine überstürzte Flucht gehen. Vier große gummibereifte Wagen waren voll bepackt. Durch unser Haus liefen viele Menschen.

Nachts, 0.30 Uhr, ein sehr schrilles Telefon: »Alarm.«

Oh, unbeschreiblich, ich werde es nie vergessen. Viele evakuierte Berliner, unsere Familien, die wir mitnehmen wollten, alle mussten auf zwei Wagen, die mit Teppichen überspannt waren.

Der Trecker mit dem polnischen Treckerfahrer, der bei uns gearbeitet hatte, und seine Geliebte. Meine Mutter, etwa 35 Frauen und Kinder, wir fuhren mit dem Trecker voraus. Etliche Pferdewagen hinterher mit Familien. Mein Vater blieb erst zurück.

Ich blieb immer vorne bei dem Treckerfahrer, es war ca. 30 Grad Kälte.

In Neustettin und Bad Polzin konnten wir die Berliner in Züge setzen. Wir blieben dann drei Wochen in der Gegend von Bad Polzin, meinten wir doch, wir könnten bald zurück.

Schließlich kam der russische Vormarsch in den Kreisen Amswalde, Byritz und Greifenhagen zum Erliegen. Aus diesen Kreisen konnte ein großer Teil der Bevölkerung über die Oder entkommen. Zwar wurden noch südliche Teile der Kreise Stargard, Bramberg, Neustettin und Schlochau besetzt. Doch allgemein kam der Angriff der Roten Armee hier zum Stillstand. Es wurden im Gegenangriff einige Landteile Ostpommerns zurück gewonnen und dadurch große Teile der ostdeutschen Bevölkerung befreit.

Mein Vater kam wie versteinert mit dem Kutschwagen, vorne und hinten Pferde und Wagen. Er war noch mal 20 km zu Fuß zurückgegangen, weil er sich nicht trennen konnte von all dem, was Generationen aufgebaut hatten. Das Vieh brüllte in den Ställen, keiner kam zum Melken. Die Stuten liefen mit den Fohlen frei herum, Schweine hatten Hunger, Hühner gackerten. Ein großer Maschinenpark, zwei Autos, alles blieb stehen.

Durch die Stabilisierung der Front hatten sich viele Flüchtlinge verleiten lassen, in einem schmalen Streifen entlang der Ostsee zu verbleiben. Zu dieser Zeit hielten sich hier etwa 2‘/2 Millionen Menschen auf.

In den letzten Februar-Tagen trat der Russe an der gesamten Front zum Großangriff an. In kürzester Zeit gelang es ihm, große Teile Ostpommerns zu besetzen und in zwei Teile zu spalten. Daraus ergab sich für die flüchtende Bevölkerung eine fast aussichtslose Lage. Wohl konnte ein großer Teil auf dem Seewege fliehen, doch viele fanden durch Versenken der Schiffe den Tod.

Nur kleine Teile Pommerns waren noch nicht besetzt. Aus diesem Grunde staute sich hier der Flüchtlingsstrom. Im letzten Augenblick konnten wir uns wieder in den großen Strom der Flüchtenden eingliedern. Unbeschreibliche Bilder boten sich uns. Handwagen mit kleinen Kindern und alten Leuten, die völlig erschöpft waren. Da brachen Deichseln von Wagen, die Pferde waren am Ende ihrer Kräfte. Oft nahm man die Hälse der Pferde in die Arme, presste das Gesicht in ihre nassen Mähnen und wollte ihnen dadurch danken. So manches Grab wurde im Straßengraben geschaufelt, es musste weitergehen. Der Feind war hinter uns her, hier schlug eine Granate ein, dort entstand ein Feuer durch Beschuss. Wir konnten nur noch über Usedom-Wollin entkommen.

Schwierig war es auch, Diesel-Kraftstoff für den Trecker und Futter für die Pferde zu bekommen.

Drei Wochen habe ich auf dem Wagen geschlafen, bei eisiger Kälte. Eine Völkerwanderung am Ostseestrand! Welch ein schauriges Bild!

Wieviel wertvolles Gut ließen die Flüchtenden hier noch zurück. Da lagen Fahrräder, denen die Luft ausgegangen war, geöffnete Koffer mit wertvollen Kleidungsstücken, Reisekörbe, Federbetten, abgeworfene Kleider, zerbrochene Handwagen und viele andere brauchbare Gegenstände. Wieviel Leid hing an jedem Stück? Wieviel Überwindung hatte es die Menschen gekostet, sich auch noch von den letzten geretteten Sachen zu trennen. Dieses höchst seltsame Strandgut mehrte sich dauernd, weil die Beschwerden der Flucht die Last allmählich unerträglich machten.

In dieses überaus traurige Bild fügte sich vereinzelt noch ein toter Feldgrauer ein, dem die Stiefel ausgezogen waren. Einige Kilometer hinter einem Gut ließ die Beschießung nach. Wir glaubten, der schlimmsten Gefahr entgangen zu sein. Da kamen plötzlich Schüsse aus dem Dünengelände. Die deutschen Soldaten schwärmten aus und nahmen das Gefecht auf. Die Erregung in dem Menschenstrom, wuchs ins Ungemessene. Die Pferde rasten in dem Gewehrgeknatter mit den Fuhrwerken davon. Verwundete schrieen auf und hemmten den Fortgang der Eilenden; sie wurden verbunden und auf Wagen geborgen. Ein Regiment mit vielen jungen Offiziersanwärtern hat uns hier den Weg gebahnt und viele mussten dies mit dem Leben bezahlen, doch wurde Tausenden von Ostdeutschen dadurch das Leben gerettet.

Dank meinem Vater, der immer versuchte, uns aus den schwierigsten Lagen herauszubekommen.

So treckten wir bis nach Ulsnis, das heißt, wir wurden geschoben, da alles besetzt war. Unsere Pferde waren überanstrengt und krepierten hier zum Teil.

Herzlichen Dank allen Familien, die uns damals aufnahmen. Es war nicht einfach, plötzlich für fremde Menschen Platz zu schaffen. Es kann auch keiner nachempfinden, was Flucht heißt, der sie nicht mitgemacht hat. Eine neue Generation ist herangewachsen, und ich wünsche ihr nur, dass es solche schreckliche Völkerwanderung nie mehr geben möge.

Richard von Weizsäcker

Aus der Rede des Bundespräsidenten bei der Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa 8. Mai 1985 Bonn:

»Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Die Menschen, die ihn bewußt erlebt haben, denken an ganz persönliche und damit ganz unterschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser wurde befreit, für jenen begann die Gefangenschaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, daß Bombennächte und Angst vorüber und sie mit dem Leben davongekommen waren. Andere empfanden Schmerz über die vollständige Niederlage des eigenen Vaterlandes. Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang.

Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.

Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.

Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.«

Und des Weiteren heißt es in dem Text der Rede an anderer Stelle:

»Wenn aber die Völker an den Zerstörungen, den Verwüstungen, den Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten innerlich nicht zerbrachen, wenn sie nach dem Krieg langsam wieder zu sich selbst kamen, dann verdanken wir es zuerst unseren Frauen.«